Hermann Giesecke 

Didaktik der politischen Bildung

Neue Ausgabe (10. Aufl. München: Juventa-Verlag 1976)


VORWORT ZUR 10. AUFLAGE

© Hermann Giesecke

Inhaltsverzeichnis
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Zu dieser Edition:

Meine Didaktik der politischen Bildung erschien 1965. In der 3. Aufl. 1968 wurden sieben kritische Stellungnahmen zu diesem Buch ausführlich abgedruckt. Auf diese und andere Einwände habe ich am Schluß des Buches mit einer  "Kritik der Kritik" geantwortet.
Der Text der Originalfassung wurde mit der 7. Aufl. 1972 grundlegend verändert. Die auf dieser "Neuausgabe"  basierende, hier wiedergegebene 10. Aufl. 1976 entspricht der 7. Auflage 1972, wurde aber ergänzt durch einen  Nachtrag, der in wesentlichen Punkten die Diskussion zwischen  1972 und 1976 aufgreift. Der Text ist vollständig wiedergegeben, es fehlen lediglich 2 der Arbeit vorausgeschickte Motti und das Sachregister.
Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Darüber hinaus wurde das Original jedoch nicht verändert.  Um die Zitierfähigkeit zu gewährleisten, wurden die ursprünglichen Seitenangaben mit aufgenommen und erscheinen am linken Textrand; sie beenden die jeweilige Textseite des Originals.
Über den damaligen politisch-pädagogischen und persönlichen Hintergrund finden sich nähere Angaben in meiner Autobiographie Mein Leben ist lernen.
Der Text darf zum persönlichen Gebrauch kopiert und unter Angabe der Quelle im Rahmen wissenschaftlicher und publizistischer Arbeiten wie seine gedruckte Fassung verwendet werden. Die Rechte verbleiben beim Autor.

© Hermann Giesecke

VORWORT ZUR 10. AUFLAGE

Die 1. Auflage dieses Buches erschien im Jahre 1965. Für die 7. Auflage (1972) wurde es als "Neue Ausgabe" völlig überarbeitet. Dieser Text liegt auch unverändert der vorliegenden 10. Auflage zugrunde; angefügt wurde in dieser neuen Auflage jedoch ein Nachtrag, der einige wichtige Entwicklungen in der politisch-didaktischen Diskussion seit 1972 berücksichtigen soll. Auch das Literaturverzeichnis wurde auf den neuesten Stand gebracht.

Obwohl nur wenige Leser die Möglichkeit haben dürften, die alte Fassung mit der neuen zu vergleichen, scheint es mir zweckmäßig, an dieser Stelle noch einmal die wichtigsten Argumente zu nennen, die mich seinerzeit zur Neubearbeitung bewogen haben; denn sie betreffen wichtige Grundsätze der in diesem Buch vorgetragenen Konzeption selbst.

1. Grundlage für meine eigene Konzeption ist das "erkenntnisleitende Interesse" an zunehmender Emanzipation und Demokratisierung. Ein solches Interesse kann sich jedoch nicht darauf beschränken, in Distanz zu den aktuellen Auseinandersetzungen idealistische, zeitlose Postulate zu verkünden, die des Beifalls aller Wohlgesinnten sicher sein können. Vielmehr kommt es darauf an, in den jeweils aktuellen Strömungen und Kontroversen die im Sinne jenes Interesses "rückschrittlichen" von den "fortschrittlichen" Momenten zu sondieren und sich mit den letzteren zu verbünden. Solche Sondierungen unterliegen selbstverständlich der Diskussion und sind sehr viel stärker durch Irrtümer und falsche Schlüsse gefährdet als solche wissenschaftliche Positionen, die nicht darauf angelegt sind, die Differenz von theoretischem und praktischem Bewußtsein wenigstens zu vermindern, sondern die umgekehrt diese Differenz gerade zur Bedingung der Möglichkeit ihres Handwerks erheben. Demgegenüber ist eine Position wie meine darauf angewiesen, vom jeweils erreichten historischen Standort aus, gleichsam historisch-relativ, zu argumentieren, weil

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unter bestimmten historischen Voraussetzungen und angesichts eines bestimmten Forschungsstandes formulierte "fortschrittliche" Konzepte "reaktionär" werden können, wenn sie nicht immer wieder neu sich mit den jeweils vorliegenden aktuellen Perspektiven zu vermitteln suchen. Wenn z. B. in der Fassung von 1965 dazu aufgefordert wurde, sich im politischen Unterricht auf die wenigen wichtigen großen Konflikte zu konzentrieren, so war dies seinerzeit gerichtet gegen den im Unterricht vorherrschenden betulichen Umgang mit lokalen Problemchen, ohne dass dabei die prinzipiellen Widersprüche zum Thema werden konnten; unter den Verhältnissen von 1972 dagegen mußte der gleiche Vorschlag das Gegenteil bewirken, nämlich die "Politisierung der Basis" denunzieren, die doch gerade aus der unmittelbar-anschaulichen Erfahrung jener prinzipiellen Widersprüche resultierte. Heute dagegen sind gegen das, was sich vielfach als "politisierte Basis" bezeichnet, deutliche Reserven angebracht; manches davon ist sowohl seiner Intention wie seiner Ideologie nach unverblümt reaktionär, manches erschöpft sich einfach in bornierter Unmittelbarkeit, ohne die für Emanzipation und Demokratisierung unentbehrlichen Perspektiven. Es scheint sogar an der Zeit zu sein, gegen diese bornierte Unmittelbarkeit wieder Forderungen nach distanzierter, emotional eher unterkühlter Rationalität ins Feld zu führen. Dieses Beispiel zeigt sowohl die Notwendigkeit als auch die Schwierigkeiten an, die entstehen, wenn erkenntnisleitende Interessen sich angesichts konkreter Entwicklungen behaupten und präzisieren sollen.

2. Das Bemühen um derartige aktuelle Konkretionen führt notwendigerweise dazu, daß eine Reihe von innerpädagogischen Auseinandersetzungen, die etwa 1965 bedeutsam waren, als solche gegenstandslos werden und nach einer gewissen Zeit das Verständnis der prinzipiellen Perspektiven nur verhindern können. Wer etwa aus der heutigen Studentengeneration solche Kontroversen in der alten Fassung liest, wird davon allenfalls im historischen Sinne noch Nutzen haben.

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3. Das Problem der notwendigen Revision gerade wegen der Beibehaltung prinzipieller Perspektiven betrifft auch die schriftstellerisch-didaktische Komposition. In der Fassung von 1965 wurde die ganze Analyse und auch der Aufbau der didaktischen Konstruktion am Beispiel der sogenannten "Spiegel-Affäre" von 1962 entwickelt. Diese Affäre und ihre Hintergründe waren damals allgemein bekannt, und es erwies sich als nützlich, daran das Gemeinte anschaulich werden zu lassen. Heute könnte dieses Beispiel seine Funktion nicht mehr erfüllen, nämlich einen möglichst großen Teil der Lehrerschaft für die "konfliktorientierten" Grundsätze meines didaktischen Konzeptes zu gewinnen. Inzwischen haben sich konfliktorientierte Vorstellungen - nicht zuletzt unter dem Eindruck der Protestbewegung seit 1967 - in einem solchen Maße durchgesetzt, daß nun eine systematische und geradlinige Entwicklung des didaktischen Konzeptes ohne jenen Umweg möglich und auch nötig ist. Eher ist heute die Lage so, daß man gegen bestimmte, vor allem pädagogisch inszenierte Konfliktansätze Stellung beziehen muß, weil sie mehr zu vordergründigem Aktivismus als zur Aufklärung taugen.

4. Schließlich hat auch die wissenschaftliche Diskussion selbst, vor allem insofern sie eine größere Öffentlichkeit erreichte, seither so erhebliche Fortschritte und Veränderungen gezeigt, daß sie insbesondere hinsichtlich der Gesellschaftstheorie, der Sozialisationstheorie und psychologischer bzw. psychoanalytischer Theorien aufgegriffen und so weit eingearbeitet werden mußte, daß der das Thema studierende Leser einen Ansatzpunkt für weitere Studien erhält.

Überhaupt ist seit der Neubearbeitung der leitende Gesichtspunkt für die Darstellung ein didaktischer geworden. Nunmehr soll das Buch den Leser nicht nur mit meinem eigenen Konzept bekannt machen, sondern ihm überhaupt die Möglichkeit bieten, systematisch in das Thema und seine Probleme einzudringen. Aus diesem Grunde wurde der erste Teil dazu benutzt, unter Verzicht auf Vollständigkeit die nach meiner Ansicht wichtigsten Beiträge zum

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Thema so vorzustellen, daß sie unter Zuhilfenahme der Originaltexte im einzelnen bearbeitet werden können. Gleichwohl können die einzelnen Teile dieses Buches auch je nach Absicht und Vorkenntnissen in verschiedener Reihenfolge gelesen werden. Der Fortgeschrittene wird sich möglicherweise nur für meinen eigenen theoretischen Entwurf, also für den zweiten Teil: "Didaktische Konstruktion", und für den verhältnismäßig abstrakten dritten Teil interessieren. Dem Anfänger wäre vielleicht zu raten, zwar mit dem ersten Kapitel des ersten Teiles zu beginnen, dann aber mit dem zweiten Teil fortzufahren und erst anschließend unter Benutzung der Originaltexte sich mit den im zweiten Kapitel des ersten Teiles behandelten anderen didaktischen Entwürfen zu befassen. Sofort mit dem zweiten Teil zu beginnen, wäre wohl nur für denjenigen Anfänger ratsam, der gewohnt ist, sich logisch-systematisch in einen Sachzusammenhang einzuarbeiten und den daher die problemorientierten Entfaltungen des ersten Teiles zunächst eher stören würden.

Dieser Band enthält eine Erörterung der prinzipiellen, nämlich didaktischen Zusammenhänge des politischen Unterrichts. Er wurde inzwischen ergänzt durch meine "Methodik des politischen Unterrichts", die sich mit der konkreten Unterrichtsorganisation und mit ihren möglichen Variationen befaßt.

Auf Fußnoten und Anmerkungen wurde verzichtet. Die Quellennachweise wurden unter Nennung des Verfassers, des Erscheinungsjahres und der Seitenangabe in den Text eingearbeitet.

Zu danken habe ich den zahlreichen Kritikern der alten und der neuen Fassung, auch denen, denen ich nach wie vor nicht zustimmen kann.

Göttingen, im Herbst 1975 - Hermann Giesecke

 URL des Dokuments: : http://www.hermann-giesecke.de/76pdvw.htm

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